Das Weisshorn! Schon lange ein heiss ersehnter Gipfel, ein Wunschtraum und fernes Ziel. Das Weisshorn! Es ist nicht irgendein Berg. Eine formvollendete, weisse Pyramide, ein Kristall, der majestätisch in den stahlblauen Himmel ragt und seinen Betrachtern Ehrfurcht einflösst. Mein Bergsteigerherz schlägt jedes Mal höher, wenn ich diesen Gipfel sehe. Ich habe viel Respekt vor dieser Tour, es ist nicht irgendein Gipfel, es ist das Weisshorn. Eine Mischung aus Vorfreude und Erregung beschleicht mich, eine Unruhe und innere Anspannung, die erst weichen wird, wenn ich wieder im Tal bin.
Die Bedingungen sind schon nicht mehr ganz so günstig als wir endlich losziehen. Es ist September und hat schon geschneit in der Höhe. Allerdings ist partout nicht in Erfahrung zu bringen, wie viel Schnee genau gefallen ist. Und so beschliessen wir, es selber rauszufinden und steigen hoch zur Turtmannhütte. Das lohnt sich sowieso, es gibt Schwarzwäldertorte auf der Sonnenterrasse und die Hüttenwartin ist warmherzig und lustig.
Um zu sehen, wie die Bedingungen am Weisshorn denn nun wären, steigen wir anderntags über den Ostgrat hoch aufs Bishorn. Eine wunderschöne Tour, auch nur dafür hat es sich gelohnt ins Wallis zu reisen. Vom Gipfel des Bishorns und mit Feldstecher bewaffnet, befinden wir die Bedingungen am Nordgrat des Weisshorns für akzeptabel bis gut. Zufrieden steigen wir über den Gletscher zur Tracuithütte ab.
Der nächste Morgen ist dunkel – schwarz wie in einer Kuh, der Mond hat sich versteckt, die Sterne sind fern, wir müssen uns ganz auf die mickrigen Lichtkegel unserer Stirnlampen verlassen. Hoch bis zum Bishorn ist es ziemlich kalt und zeitweise mühsam, weil wir eine Abstiegsspur erwischen (obwohl wir Vortags extra so genau geschaut hatten!). In klirrender Kälte und Dunkelheit ist das Bishorn dann nicht mehr so gemütlich wie am Tag zuvor im strahlenden Sonnenschein. Sowieso haben wir heute noch ein weiteres Ziel und es drängt uns schnell weiter. Der Schneegrat ist wie von Glas überzogen, es hatte geregnet und ist wieder gefroren. Es klirrt und knackst seltsam unter den Steigeisen, aber die Spur ist gut und wir kommen voran. In der ersten Kletterstelle gibt auch die erste Lampe ihren Geist auf. Das bremst uns natürlich ein bisschen, aber die Zeit arbeitet in diesem Fall mit uns, irgendwann muss es ja heller werden. Beim ersten mal abseilen geht (endlich!) die Sonne auf. Diese Tour wäre sicher bequemer an einem langen Hochsommertag… Die ersten Strahlen wärmen das Herz aber nicht so sehr unsere klammen Hände. Der Grat wird ins goldene Morgenlicht getaucht. Und trotzdem – so speziell, so magisch wie ich mir das vorgestellt hatte, das grosse Weisshorn, ist es irgendwie nicht. Es ist eine schöne und abwechslungsreiche Tour, wir überklettern graue Granittürme, Schnee und schöner Fels wechseln sich ab, die Bedingungen sind ganz gut. Der grosse Gendarm ist ein Highlight, er bietet zwei wirklich schöne Seillängen, die wir sehr geniessen. Danach nochmals ein langer Firngrat. Elegant schwingt er sich in den Himmel und lässt uns schon das Gipfelkreuz erahnen. Ich habe die Ehre, darf die letzen Meter auf den Gipfel führen. Nochmals ein Stück scharfer Grat im Firn – und dann stehen wir auf dem Gipfel des Weisshorns! Es ist wunderschön, speziell, magisch, ein Ausblick wie nie. Aber nicht schöner als all die anderen Gipfel, auf denen ich schon gestanden habe. Und doch ein sehr emotionaler Moment, geht doch ein langersehnter Traum in Erfüllung! Ich hätte mir damals, ganz am Anfang meiner Bergsteigerei, niemals träumen lassen, dass ich einmal wirklich hier oben stehen!
Aber wie so oft, der Gipfel ist erst die Hälfte des Weges. Wir steigen über den Ostgrat (Normalweg) ab. Und der hat es in sich. Hier liegt viel mehr Schnee als im Nordgrat. Und er ist lang, zahllose Türme überklettern, immer wieder abseilen, endlos kommt er uns vor. Zum Schluss bereits verschneite Geröllfelder und als i-Pünktchen durch einen Wasserfall abseilen… Das Weisshorn entzaubert sich mir schon etwas auf diesem Abstieg! Die Weisshornhütte ist wegen des Schnees schon zu und so nehmen wir auch noch den Weg hinunter nach Randa unter die Füsse…
Es war eine sehr spezielle Tour, viele unvergessliche Eindrücke und ich habe mal wieder so einiges gelernt. Über das Bergsteigen, das Leben, über Träume und über mich.
Es war ein wunderschöner Traum, der Traum vom Gipfel des Weisshorns. Doch zu hohe Erwartungen und starke Emotionen haben beim Bergsteigen nichts verloren, einmal mehr merke ich mir diese Lektion. Dem Weisshorn ist es ziemlich einerlei, ob ich nun oben war oder nicht… Weiss thront der Gipfel weiter majestätisch über dem Mattertal, lockt wie ein Irrlicht Bergsteigerseelen an…