Liebe auf den ersten Blick ist Sizilien nicht. Es fängt mit einer stürmischen Überfahrt auf der Fähre von Genua nach Palermo an. 21 Stunden lang sind wir damit beschäftigt, nicht seekrank zu werden. Als wir ankommen ist es dunkel, kalt und der Wind klatscht Nieselregen auf die Frontscheibe. Wir stecken zur Rushhour mitten im Verkehrschaos von Palermo und fragen uns, was, ausser den Palmen, ist hier anders als in der nassen Schweiz? Am nächsten Tag müssen wir beim ersten Kletterspot bereits kurz nach dem aussteigen aus dem Auto kapitulieren – der Wind fegt uns fast von der Strasse. So wird das nichts, der Wind ist einfach zu stark und die exponierte Route direkt an der Küste. Wir fahren weiter nach Osten, quer über die ganze Insel. Wir staunen nicht schlecht, als Google Maps für die ersten 37 km eine Fahrzeit von über einer Stunde ausgespuckt. Weshalb das so ist, wird uns bei der holprigen Fahrt auf engen, löcherigen Strassen durch unzählige Kurven schnell klar. Wir sind gespannt auf den Vulkan und hoffen da auf weniger Wind. Die Aussicht ist schon mal fantastisch, die Dörfchen, durch die wir fahren, kleben ganz oben auf den Felsen und die Landschaft zeigt sich winterlich grün.
Zweiter Versuch in Taormina: Schon beim Zustieg zum schön gelegenen Klettergarten mit versprochenem Blick aufs Meer kommen uns schon die ersten Zweifel. Wir kriechen unter Zäunen durch, kraxeln steile Grashänge hoch und schleichen mit klopfenden Herzen an laut bellenden Hunden vorbei (zum Glück sind sie hinter Gittern!)… Nur um dann festzustellen: Der Grundbesitzer mag keine Kletterer – alle Bolts sind abgeschlagen! Daher auch die Zäune… Rückzug also, wie die Prinzen aus Dornröschen kämpfen wir uns über einen mit Dornen und Gebüsch zugewachsenen Pfad zurück – und enden vor einem weiteren Zaun.
Die Canyons im Süden
Enttäuscht fahren wir Richtung Süden. Hier haben wir endlich Glück! Die Spots im Süden sind unglaublich schön! Und es scheint keiner etwas gegen das Klettern zu haben. Wir klettern in breiten Canyons, die sich auf den ersten Blick unauffällig durch das Land schlängeln. Sie sind nicht besonders tief, aber oft lange und bieten herrliche Felsen in allen Expositionen. Ein Paradies! Jetzt im Winter wählen wir Süd- und Westwände. In der Sonne wird es schön warm, aber dank dem kühlen Wind fast nie zu heiss. Die Kalkwände bieten Klettereien in allen Variationen. Wir finden rote, graue und gelbe Wände, Sinter, vom Regen ausgewaschene Strukturen und Löcher, oft beeindruckende Höhlen mit pumpigen Dächern. Es ist für jeden Stil etwas dabei. Der Fels ist wunderschön, scharf und griffig. Da die meisten Klettergebiete erst vor kurzem erschlossen wurden, treffen wir nie auf abgespeckte und schmierige Routen.
In den Canyons könnte man auch super Wandern oder Biken. Auf dem Talboden spenden Orangen-, Mandarinen-, Zitronen-, und Olivenbäume Schatten. Jetzt im Winter sind sie schwer behangen mit saftigen Früchten, die viel süsser schmecken als bei uns daheim.
Winter auf der Sommerinsel
Die Tage sind fast zu kurz. Um fünf wird es dunkel und schnell unangenehm kühl. In Sizilien sind die Nächte rabenschwarz, selbst in den Städtchen gibt es nur wenig Licht. Die Strassen sind schlecht beleuchtet, Blindflug bei der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz! Die kurzen Tage haben aber auch Vorteile: Wir betrachten malerische Sonnenaufgänge über dem Meer und schlafen trotzdem aus… Die wenigen hellen Stunden reichen aber längst nicht für alles, was Sizilien zu bieten hätte: Am Meer faulenzen, Sizilianische Spezialitäten aufstöbern und schlemmen, Espresso um Espresso schlürfen, durch die Gässchen der Altstädte flanieren, den Etna besteigen, Mandarinen pflücken, Wein trinken, mit Händen und Füssen mit den herzlichen Sizilianern quatschen…
Vom Winterwetter auf Sizilien (und vom Wetterbericht!) darf man sich nicht irritieren lassen, es wechselt manchmal sehr schnell.
In der Nebensaison ist Vieles geschlossen, die Dörfer verschlafen und manchmal wie ausgestorben. Wir haben aber Glück und finden trotzdem offene Campingplätze. Und sonst ist frei campen auch kein Problem. Zweimal stehen wir direkt am Meer mit Simon, unserem Bus, der während der Reise unser Zuhause ist. Wir treffen auf eine kleine Community pensionierter Dauer-WoMo-Reisenden und erhalten gute Tips zu Standplätzen. Wir sind ein bisschen neidisch auf ihre Freiheit und ihren Lebensstil – sie sind das ganze Jahr auf Achse und reisen dem Sommer nach. Wir haben leider nicht so viel Zeit und machen uns darum auf nach Norden – das Klettermekka San Vito Lo Capo wollen wir uns nicht entgehen lassen.
San Vito Lo Capo
Je weiter wir nach Norden kommen, desto höher und werden die Berge und Felsen. Eine schöne alpine Mehrseillänge am Pizzo Lungo im Landesinnern kurz vor Palermo fällt leider dem Winterwind und Regen zum Opfer. Nach einer stürmischen Nacht im Bus irgendwo in Nirgendwo, geht die Reise weiter entlang der beindruckend mächtigen Küstenfelsen westlich von Palermo. Hier gibt es noch unzählige Möglichkeiten für neue, lange Routen! Am Nachmittag besteigen wir San Vitos Hausberg, den Monte Monaco. Der Gipfel ist sehr einfach zu erklimmen und nur 528 m über Meer – aber direkt über dem Meer! Fast rund um den Gipfel fällt der Blick aufs Wasser, ein spezielles Gefühl! Der Wind bläst orkanartig, das Meer ist aufgewühlt, die Wolken ziehen schnell über uns hinweg. Wild, aber unglaublich schön!
Die nächsten Tage erkunden wir die Sektoren rund um San Vito. Die Mehrseillänge am Pizzo Monaco verschieben wir aufs nächste Mal, der Wind bläst einfach zu stark. An den Klippen direkt vor der Küste ist man aber ziemlich geschützt und die Sonne wärmt uns den Rücken beim Sichern. Ein Paradies für Kletterer! Die Sektoren und Routendichte an den einfach zu erreichenden Küstenfelsen ist beeindruckend. Man kann sich auf dem Campingplatz El Bahira einquartieren und von da jeden Tag bequem zu einem neuen Sektor spazieren. Ausgewaschene Strukturen und Löcher, Sinter und beeindruckende Höhlen bieten so viele Routen, man hätte Projekte für Monate. Und das alles mit Meerblick! Das Städtchen ist jetzt in der Nebensaison sehr ruhig, nur ein paar wenige Restaurants sind geöffnet. Kletterer trifft man dennoch einige. Bei Sonnenschein herrschen um die Mittagszeit T-Shirt Temperaturen, wobei wir bei dem herrlich griffigen und scharfkantigen Fels doch lieber langarm bleiben. Nur an Sintern und manchmal in den Überhängen, wo das Wasser steht und Salz und Chalk nicht weggewaschen werden, sind die Griffe etwas schmierig.
Fazit
Wir kommen wieder! Sizilien ist ein super Klettergebiet für den Winter. Natürlich muss man auch hier – wie überall – ein bisschen Wetterglück haben, oft bläst ein starker Wind. In den geschützten Süd- und Westexponierten Sektoren kommt Sommerfeeling auf, die Routen sind abwechslungsreich und der Fels super griffig und scharf. In der Nebensaison ist Manches geschlossen, dafür hat man aber ganze Sektoren für sich alleine. Die Insel ist gross und bietet viel – daher lohnt es sich, etwas mehr Zeit einzuplanen oder sich auf ein Gebiet zu beschränken.
Lieblingsrouten
Rumba, Sektor Sinistra Pietraia, Trapani und Muoviti, Settore Grigio, Timpa Rossa, Siracusa
Für uns typisch Sizilien
Hundegebell, Wind, Meeresrauschen, herzliche Menschen, Orangen- und Zitronenbäume
Wann waren wir da
Weihnachten/Neujahr 2017/2018
Kletterführer
Di Roccia die Sole, Klettern auf Sizilien (AMAZON LINK). Der Führer verschafft einen guten Überblick über die Gebiete in ganz Sizilien. Praktisch sind auch die QR-Codes mit den Koordinaten für die Parkplätze. Schöne Topos und Routenlisten werden ergänzt durch nützliche Infos wie Anzahl Routen, Absicherung etc.