Toleranz – ein Nachtrag

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Interessant, wie einseitig man über manche Dinge denkt. Ich hatte den Artikel über das Thema Toleranz geschrieben und veröffentlicht. Die Reaktion einer meiner treuen Leserinnen regte mich sehr zum nachdenken an. Sie bezog die Toleranz auf sich selber. Sehr interessant, denn darüber dachte ich gar nicht nach! Ich bezog Toleranz nur auf den Umgang mit meinen Mitmenschen. Wie einseitig! Ausserdem drängt sich eine unbequeme Frage auf: Kann man mit anderen tolerant sein, wenn man es mit sich selber nicht ist? Erwartet man von sich selber gleich viel wie von anderen? Oder vielleicht viel mehr?

Ist man tolerant mit seinem jungen Ich, welches in der Vergangenheit viele Entscheidungen getroffen hat, die man heute vielleicht bereut und als falsch empfindet? Müsste man jetzt nicht tolerant sein mit seinem Ich von damals, das es eben nicht besser wissen konnte? Es hat nach besten Wissen und Gewissen gehandelt. Zudem kennt man seine eigene Geschichte und weiss, dass das junge Ich gar nicht anders konnte. Eine solche Haltung wäre tolerant. Aber wie viele Dinge bereuen wir und würden am liebsten die Zeit zurückdrehen und alles anders machen. Auch in der Gegenwart, wenn vermeintliche Fehler passieren, weil man die Erwartungen an sich selber wieder zu hoch schraubt, Unmögliches von sich verlangt, Anforderungen an sich stellt, die nie zu schaffen sind und hinterher sauer auf sich selber ist, enttäuscht, weil man es, oh wunder, nicht geschafft hat.

Müsste man nicht so nachsichtig mit sich selber sein wie mit seinem besten Freund? Wäre man auf den auch so sauer, würde man von dem gleich viel verlangen? Müsste der auch immenses leisten?

Oder das Thema Hilfe: Darum bitten und sie annehmen. Man traut sich nicht, hält sich nicht dafür. Man will keinem zur Last fallen. Wäre es umgekehrt, man würde das Gleiche für einen guten Freund natürlich sofort tun – es wäre ja gar keine Frage! Warum ist dann selber annehmen so schwer? Weil es ein Eingeständnis der eigene Schwäche und Unvermögens ist? Alles alleine ohne fremde Hilfe schaffen wollen, warum eigentlich? Ich helfe ja gerne anderen – warum sollte ich nicht Hilfe annehmen? Denn nimmt keiner Hilfe an, dann kann auch keiner helfen, logisch, oder? Das Leben lehrt es einen früher oder später, ist man zu stur, es selber einzusehen. Man wird gezwungen Hilfe anzunehmen, zum Beispiel durch einen Unfall, ich rede da aus eigener Erfahrung. Es wäre einfacher, es freiwillig zu tun. Aber dazu muss man über den eigenen Schatten springen und tolerant mit sich selber sein. Sich selber Fehler und Niederlagen erlauben. Sich selber Auszeiten und Pausen gönnen. Tolerant sein wenn etwas nicht gerade geht oder man nicht so leistungsfähig ist, wie man es gerne wäre. Oder einfach realistische Anforderungen an sich selber stellen. So tolerant mit sich selber sein wie mit dem besten Freund, das ist ein gutes Ziel.

 

2 Kommentare

  1. Gedanke zur Toleranz gegenüber sich selber:
    Ich denke, wenn Entscheidungen des Gegenübers (negativen) Einfluss auf das eigene Leben haben, geht es eher um Verzeihen als um Toleranz, und schlechte Entscheidugen des eigenen, jüngeren Ichs, haben nunmal oft negativen Einfluss auf das eigene Leben. Auch wenns zum Glück oftl nur etwas Peinlichkeit ist 🙂

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