Eisfall-avers

Willst du etwa ewig leben?

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Die Schönheit des Vergänglichen 

Durchschimmerndes blaues Eis. Mächtige Zapfen, die von steilen Felsdächern herunterhängen. Eisfälle, die sich gefroren durch steile Rinnen und Schluchten ergiessen. Das Herz schlägt höher, das Eisgerät beisst sich im Eis fest. Eisklettern. Absurd eigentlich, an gefrorenen Wasserfällen herumzupickeln. Im Schatten, in der Kälte, gefährlich. Und doch fasziniert es, zieht schon fast magisch an. 

Klettern am fragilen Eis. Ein paar Grad nur, warmer Wind, Sonnenstrahlen und schon schmilzt es dahin, es tropft, fliesst einfach so weg. Die gläsernen Zapfen brechen ab, fallen mit lautem Krachen zu Boden, zersplittern in tausend glitzernde Stücke. 

Träumst du auch manchmal vom ewigen Leben? 

Wir träumen vom ewigen Leben, aber macht nicht eigentlich die Vergänglichkeit den Reiz aus? Als Mensch ist alles endlich, vergänglich. Stell dir vor du würdest ewig Leben. Wirklich ewig. Bis in hundertausendmillionen Jahren. Ziemlich lange und eigentlich gar nicht vorstellbar. Was wäre der Anreiz, Dinge heute zu machen? Man hätte Zeit, könnte alles auf später verschieben. Zeit wäre nicht länger wichtig, wäre nicht besonders kostbar. Im ersten Moment klingt es verlockend. Man könnte so viele verschiedene Leben leben. Ich könnte Bergsteigerin sein, jeden Gipfel in den Alpen besteigen. Ich könnte als DJane Bässe auflegen, als Drummerin in einer Rockband um die Welt touren. Ich könnte um die ganze Welt reisen, in jedes Land der Welt. Zuhause sitzen und den Regentropfen zusehen wie sie über die Scheibe laufen. Stunde um Stunde. Hunderte Bücher lesen und Spanisch lernen. Denn ich hätte ja Zeit. Für alles. Aber wenn du lange genug darüber nachdenkst? Auf einmal wird es auch angsteinflössend, bedrohlich. Wie soll man das aushalten? Ewig leben. Was soll man mit so viel Zeit anfangen? Was soll man alles machen in der Zeit? Gibt es wirklich soviel zu tun hier? Willst du das wirklich? Es gäbe kein Entrinnen mehr, der Trost zu Wissens, dass alles einmal ein Ende hat, auch das Allerschlimmste irgendwann vorübergeht – der wäre verloren. Würde nicht alles öde und langweilig, wenn du es auch in hundert Jahren noch machen könntest? Was wäre die Motivation, es eben genau jetzt zu machen? Würde man nicht immer auf noch etwas Besseres warten? Der Genuss des Lebens im Augenblick, besteht doch eben gerade darin zu wissen, dass der Moment vorbeigehen wird – alles vorbeigehen wird. Nichts ewig währt ausser der Veränderung. Ist nicht gerade die Veränderung die Triebfeder, die Motivation, das Beste aus unserem Leben zu machen, weil wir wissen, dass der Augenblick zum Leben gerade hier und jetzt ist?

Wie wäre es, wenn die Eisfälle immer perfekt stehen würden, das Eis immer solide und stabil, das ganze Jahr. Fette, perfekte Eissäulen, die Wasserfälle so dick mit Eis überzogen, dass man eh nur lange Eisschrauben braucht, ein wahrer Genuss. Wäre es noch so faszinierend? Würde ich bei jeder Gelegenheit gehen, jeden Tag, oder doch immer warten bis es noch perfekteres Wetter wäre, nichts anderes wichtiges dazwischenkommt? Besteht nicht gerade die Faszination des Eiskletterns darin, dass das Eis vergänglich ist und wegschmilzt, und zwar schon bald?

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