Wild, wilder, Gaggio

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Wer das Abenteuer sucht und botanisch bewandert ist, dem werden hier alle Tourenträume erfüllt.

Wir kämpfen uns durch die Büsche, für jeden Schritt müssen wir zuerst die wiederborstigen Sträucher aus dem Weg schieben, niederdrücken oder uns unten durch zwängen. Wie Dornröschen – das erste mal kann ich mir vorstellen, dass diese ganzen armen Prinzen wirklich stecken blieben. Bis heute hatte ich immer gedacht, dass das halt nicht so harte Kerle waren…. So, nur noch bis zu dem Erlen hoch, weit sieht es nicht aus, aber es liegen viele fiese Ruten dazwischen. Gerade noch dachte ich, vielleicht hätten wir den Pickel mitnehmen sollen – jetzt wünsche ich mir sehnlichst eine Machete (eine grosse).

Wir müssens uns eingestehen – wir sind hier falsch. Oder aber das ist das schwerste T4 ever!

Wir sind am Sonntag, bei mystischer Stimmung im Nebel in Richtung Albagnohütte gestartet. Mystische Stimmung, Nebelschwaden ziehen durch die grünen Hügel. Die ersten tausend Höhenmeter gehen bequem mit der Bahn. Doch auch nachher ist es nicht viel anstrengender, der Weg hat eine angenehme Steigung, die Landschaft ist wunderschön und wir sehen sogar kleine Frösche! Bald sind wir bei der Hütte. Die Stimmung ist schon herbstlich und es kommt die berühmte Hüttengemütlichkeit auf. Die Hütte ist super eingerichtet, es gibt diverse Moccakännchen und Kaffee – hoch lebe das Tessin!

Nach Rösti und Spiegelei geht’s in die Federn. Der Nordwind zieht unheimlich um den Gibel, wir fragen uns, ob wir die Tour morgen machen können.

Am nächsten Morgen bläst es immer noch stark, aber der Himmel ist stahlblau, und so gehen wir los, in Richtung Albagnopass. Auf dem Hochweg noch in der Sonne, fegt der Wind in gefühlter Orkanstärke über den Pass. Wir machen, dass wir wegkommen – aber jetzt geht’s runter auf die Schattenseite. Ich erlebe, was Nordwind ist. Wir gehen durch knöcheltiefes Gras und Büsche – und die Schuhe bleiben furztrocken. Nix, kein Tröpfchen, der Nordwind hat alles ausgetrocknet. Bald werden auch unsere Augen und Kehlen so trocken sein wie das Buschland hier… Auf der Nordseite steigen wir ab bis ca. 1760m, wo wir gegen Osten ein Couloir hoch sollen, gemäss Beschreibung der Erstbegeher. Das Couloir finden wir, noch geht’s gut voran, im Schutt und Sand. Aber dann erwischen wir den falschen Abzweiger links hoch. Eine Rinne zu früh, zu spät, man weiss es nicht so genau. Auf jeden Fall hängen wir nun in den Büschen. Da waren die Platten kurz vorher (auch nicht T4, aber wir sind ja Kletterer) Nasenwasser dagegen… Wir wissen, der Point of no Return ist schon lange überschritten, hier wieder runter kriegen uns keine zehn Pferde! Schliesslich ist es geschafft, wir gehen nur noch in knöchelhohem Gras und Alpenrosen. Welche Wohltat! Die beschriebene Grasrampe finden wir auch, wir sind – endlich – am Einstieg! Ab jetzt wird’s besser hoffen wir und haben zum Glück recht. Schöner Granit, feine Schuppen und Platten, das Kletterherz schlägt höher. Die erste Seillänge ist ein kleiner Kamin, danach geht’s von einer Platte die erste Ver Stelle hoch. Hier nochmals Nervenkitzel, zwar ist der Fels mehrheitlich kompakt, aber hier bricht trotzdem eine beachtliche Schuppe los. Zum Glück interpretiert Caroline mein Geschrei richtig uns springt geistesgegenwärtig aus der Schusslinie. Phew. Es ist eine schöne Kletterei, der erste Stand zum Glück in der Sonne, denn es ist eiskalt. Westexponiert und im Nordwind, da sage mal einer im Süden sei immer Sommer… Ich klettere in der Primaloftjacke und langen Unterhosen, heiss ist mir trotzdem nicht. Das wird mir in der dritten Seillänge dann auch fast zum Verhängnis. Die zweite war schöne Kletterei, einige schöne Züge, daneben noch Gehgelände und Gras. In der dritten muss man zwei, drei Züge piatzen und erwischt dann den rettenden Henkel – dachte ich. Das piatzen in den Bergschuhen war schon ok, allerdings spüre ich jetzt meine Hände nicht mehr, die letzte Sicherung ist ziemlich lange her und der grosse, rettende Henkel kommt mir entgegen… das zweite Mal Herzflattern heute. Jetzt hänge ich kurz in der Sch…. durchatmen, Nerven und Hände sammeln, zwei Züge und ich bin wieder safe. Es ist immer noch eisig, trotz Sonne zieht der Nordwind bis in die Knochen und trägt nicht nur alle Feuchtigkeit sondern auch alle Wärme weg. Caroline steigt weiter, eine schöne Seillänge. Der Gipfel scheint zum Greifen nah, es sieht fast aus als könnte sie geradewegs hochsteigen. Aber es dauert dann doch noch weitere zwei einfache schönes Seillängen bis wir auf dem Flachen Grat sind. Mit dem 50 Meter Seil passen die sechs Seillängen super, man findet so ca. alle 45 Meter einen guten Platz um Stand zu machen. Dazwischen verbauen wir einiges an Schlingen und versenken Friends in den super Granitrissen. Sicherungsmöglichkeiten gibt’s genug. In den letzten zwei Seillängen kommen wir sogar noch in Genuss einiger schöner Platten, mit Wasserrillen und lustigen Löchern. Und am Gipfel wartet schon unser Empfangskomitee – eine Herde Schafe stiert uns aus ihren Bernsteinaugen an. Der Abstieg zurück zur Hütte und zur Bahn ist dann wirklich T3, böse sind wir darüber aber nicht.

Fazit: Eine wunderschöne, wilde und einsame Tour. Toll, dass hier noch keiner Bolts und Hacken platziert hat – das macht die Tour noch schöner! Bitte so lassen… Wer den Zusgieg überstanden hat, dem winkt Plaisier-Kletterei in (meist) kompaktem Fels und schöne Sicht auf die wilden Täler.

Vielen Dank Caroline für die Tour 🙂

Foto von Caroline Fink www.caroline-fink.ch 

 

 

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