Wandern auf unbekannten Pfaden im Prättigau. Der Frickweg führt ausgesetzt durch wilde Felswände. Eine Tour auf die Schesaplana abseits der Massen.
Wo soll da bitte ein Weg sein? Ungläubig suche ich die Felswände nach einer Linie ab, einem Band, einem Weg, doch ich sehe nichts. Noch stehen Carlo und ich in der Alpweide, zwischen violetten Blüten, die Letzten des Sommers. Wir folgen den blau-weissen Markierungen im Zick-Zack hinauf, eine nach der anderen, frisch angepinselt, das Weiss leuchtet in der Sonne. Der Pfad quert ein ausgetrocknetes Bachbett und siehe da: ein Zeichen in den Felsen! Dann noch eins, und noch eins. Der Durchgang öffnet sich plötzlich vor uns, wir steigen durch die wilde Felswand, bequem und einfach. Hier beginnt der Frickweg: Kurze Passagen sind mit Ketten gesichert, der Tiefblick ist gewaltig. Schnell gewinnen wir an Höhe und erreichen schon bald das Geröllfeld nahe der Gratkante, welches von der Hüttenterrasse sichtbar ist. Hier mündet der Frickweg in den Liechtensteiner Weg, der vom Salarueljoch hinaufführt.
Heute ist einer der letzten Sommertage; das Licht ist klar, Lärchen und Wiesen verfärben sich bereits gelb, rot und orange, die Weiden liegen verlassen unter uns, die Kühe sind bereits im Tal. Wir sind bei der Schesaplanahütte losgewandert, die einladend in der Morgensonne geleuchtet hat. Den Kaffee haben wir uns für den Rückweg aufgespart, einige Höhenmeter liegen vor uns.

Wo ist hier der Weg?
Die Querung unter dem Salaruelkopf sieht unpassierbar aus – eine wilde, abweisende Felswand. Unser Blick wandert über den Grat nach Norden: der Bodensee, der Säntis und das Montafon breiten sich vor uns aus. Ich staune und fröstle, der Wind pfeift eisig über den Grat. Wir marschieren weiter Richtung Schaflochpass, der gut sichtbar ist, nur vom Wanderweg keine Spur. Bald kommen wir zu einer massiven Verankerung im Fels: Hier beginnen die Fixseile. Nun tut sich der Weg wieder Stück für Stück vor uns auf. Hier ist hart gearbeitet worden! Der Weg ist durchgehend einen halben Meter breit, fein säuberlich aus den Felsen gesprengt, an manchen Stellen folgt er einem natürlichen Felsband. Wir wandern über diese Felsbänder, hinter Türmchen durch, kraxeln eine steile Rinne hoch und geniessen den genialen Tiefblick ins Tal. Metallkabel sichern diese ausgesetzte Passage durchgehend bis zum Schaflochpass. Ausrutschen ist hier dennoch keine gute Idee!
Fern der Zivilisation
Am Schaflochpass steige ich über die Grenze: den rechten Fuss in Österreich, betrachte ich die Mannheimer Hütte. Hier oben öffnet sich ein grosser Kessel aus Schotter und Blöcken. Rostfarbene und gelbe Adern wachsen durch den Kalk. Nicht weit weg von Tal und Hütte, taucht der Wanderer hier in eine andere, verlassene Welt ein, fernab von Stress und Alltag. Wir gönnen uns eine Pause, geniessen Bündner Birnenbrot und Hüttentee.
Vom Brandner Gletscher ist leider nicht mehr viel übrig. Die Route quert den traurigen Rest, dank den fünf Zentimetern Neuschnee von letzter Woche bleibt der Pickel heute im Rucksack. Bis zum Plateau unterhalb des Gipfelaufbaus der Schesaplana durchwandern wir ein Steinmeer aus Geröll und Sand. Die Wegspuren folgen Steinmännern und weissen Punkten und führen schliesslich an den Fuss der höchsten Erhebung des Rätikons.

Fernsicht vom Gipfel
Bereits ziehen im Westen dunkle Wolken auf; die 45 Minuten Aufstieg bis zum Gipfel gönnen wir uns trotzdem. Schesaplana – das flache Haus. So flach ist dieser Berg nicht, die letzten zweihundert Höhenmeter bis zum Gipfel zehren. Der ausgetretene Wanderweg ist steil, das riesige Gipfelkreuz kommt nur langsam näher. Dafür ist die Aussicht grandios! Auf dem Gipfel pfeift uns der Wind scharf um die Ohren; er trägt schwere Wolken über unsere Köpfe und hüllt das Rätikon in mystisches Licht. Vor der Kulisse des Lünersees strahlen Kirchlispitzen, Drusenfluh und Sulzfluh im Herbstlicht und laden zum Verweilen ein. Der beissende Wind zwingt uns leider schnell zum Abstieg.
Steiler Schweizer Weg
Wir nehmen den steilen Schweizer Weg unter die Füsse. Die Wände sind brüchig, lose Steine, Schotter und Kies liegen da, wo der Weg sein soll.
Carlo wagt den ersten Schritt, folgt einer weiss-roten Markierung nach der anderen. Der Pfad quert die Wandflucht ausgesetzt von Osten nach Westen. Der Gipfel war auch heute erst die Hälfte der Tour, Konzentration und Trittsicherheit sind gefragt. Wie die Erstbegeher diesen Weg wohl gefunden haben? Bereits beim Zurückschauen wundere ich mich: Durch dieses gelbe Felsband sind wir gewandert? Die Felsbrocken rutschen, unsere Bergschuhe knirschen auf zusammengepressten schwarzen Felssplittern. Schliesslich führt der Wanderweg zick-zack steil nach unten, Ketten versichern einige Meter und sogar eine kleine Leiter wurde verbaut. Ab und zu erfordert eine Stufe einen grossen Schritt.

Die Fahne der Schesaplanahütte winkt uns schon lange einladend zu. Noch eine Kurve, über eine Stufe… Der Pfad führt durch eine steile Rinne, eine gigantische Wasserrutsche, nur Wasser fliesst keines. Auf der anderen Seite ist der Weg aus dem Felsen gehauen und schmal. Meine Füsse stehen direkt am Abgrund, die Ketten bieten den Händen Halt. Ich blicke zur Hüttenterrasse hinunter und rieche den Kaffeeduft schon fast…
Most und Kaffee auf der Hütte
Nun spazieren wir durch die Alpweiden. Abgezäunt ruhen sie einsam und still; die Vögel schweigen. Wir bleiben stehen, lauschen der Stille und blicken ins bunte Tal. Hinter der Hütte geht es nochmals richtig steil runter, der Pfad schlängelt sich durch Erlen und Hagebutten. Und dann verweilen wir auf der Sonnenterrasse, schlürfen sauren Most und Kaffee. Hühner picken an meinen Wanderstöcken. Hüttenwart Didier empfiehlt uns sofort weitere Touren. Er strahlt, wir schwärmen für «seine Berge». Am liebsten würde ich auf der Schesaplanahütte bleiben; morgen früh hoch in die wilden Felsen steigen und die Ruhe geniessen. Aber die Kaltfront im Westen rückt immer näher, wir machen uns auf den Weg talwärts. Wer es rasant mag, leiht sich ein Trottinett für die 18 Kilometer bis nach Grüsch.
Informationen zur Wanderung
Schesaplana Hütte – Frickweg – Liechtensteinerweg – Schafloch Pass– Schesaplana – Schweizer Weg – Schesaplana Hütte
Karte SchweizMobil.ch
Schwierigkeit
T4 / T5, weiss-blau-weiss markiert
Ausrüstung
Pickel, evtl. Steigeisen für das Firnfeld nach dem Schaflochpass empfohlen
Klettersteigset: Wer steiles, ausgesetztes Gelände nicht gewohnt ist. Kinder ins Kabel klippen oder anseilen.
Beste Jahreszeit
Juli bis Herbst, der Weg sollte schneefrei und trocken sein.
Varianten
- Übernachtung in der Totalphütte und via Gamsluggen zurück zur Schesaplanahütte oder weiter Richtung Carschinahütte (Prättigauer Höhenweg)
- Via Douglasshütte und Seilbahn nach Brand (AT), Rückfahrt mit Bus und Bahn via Feldkirch nach Sargans
Übernachten
Schesaplanahütte, www.schesaplana-huette.ch
Anreise
Die Schesaplanahütte kann auf verschiedenen Routen erreicht werden:
- Ab der Bergstation der Älplibahn Malans (5 Std.), Reservation zwingend
- Ab Bergstation der Seilbahn Fanas (3 ¼ Std.), Reservation empfohlen
- Ab Seewis (4 ¼ Std.), auch mit E-Bike oder Bike machbar
- Von der Carschinahütte über den Prättigauer Höhenweg (5 Std.)